Der CIO GUIDE | CDO GUIDE hat unseren Geschäftsführer und CDO Manfred Immitzer in der Ausgabe Q2 2022 zum Thema Datenökonomie und deren Bedeutung für die Weiterentwicklung der die Porsche Holding befragt. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags stellen wir den Text auch hier zum Nachlesen zur Verfügung.
Am Anfang war das Auto. Es stand als Produkt im Fokus. Es wurde gekauft oder finanziert und dann repariert und irgendwann kam das Ende des Lebenszyklus. Dieses Konzept funktioniert seit langer Zeit sehr erfolgreich – jetzt aber wird das Auto intelligent und zum Teil einer vernetzten Welt, des Internet of Things. Als Connected Car produziert und kommuniziert es immer größere Mengen an immer vielfältigeren Informationen. Und bildet das Herzstück eines Paradebeispiels für Datenökosysteme neuen Zuschnitts, in denen führende Industrien wie die Automotive-Branche an fast allen Enden umdenken und umrüsten – und zwar auf Data Driven.
Ein wesentlicher Treiber dafür sind die KundInnen. Die wissen heute nämlich sehr genau, was sie wollen – tolle Autos wünschen sie sich noch immer, aber das alleine reicht ihnen nicht. Heute geht es auch darum, die Mobilität in den eigenen Lebensstil einzubetten. Und es geht um Informationen.
„Unsere KundInnen wünschen sich relevante Infos auf Knopfdruck, in Realtime auf ihrem Smartphone“, sagt Manfred Immitzer, CEO & CDO von Porsche Informatik. „Und sie vertrauen darauf, dass wir antizipieren, was einen echten Mehrwert bieten kann.“
Und das wird im dynamischen Ökosystem rund um das Auto, das Trendforscher mit CASE (Connected, Autonomous, Shared und Electric) beschreiben, zu einer wachsenden Herausforderung. Das lineare Geschäftsmodell „Hersteller verkauft an Großhandel, der verkauft an den Einzelhandel und der wiederum an den Kunden“ wird durch die Digitalisierung adaptiert und transformiert sich in ein Ökosystem, in dem viele Teile dieser Wertschöpfungskette direkt mit dem Kunden interagieren.
Die Kundenreise in der Omnichannel-Welt führt nach wie vor von einer Website zum Autohaus, aber auch über verschiedene Self-Service-Apps, Portale und andere Entry Points. Aber auch die Importeure sprechen die KundInnen verstärkt direkt an, und die OEMs kommunizieren mit ihnen über das Connected Car selbst, bieten dabei zum Beispiel Features-on-Demand, Over-the-Air-Updates oder Predicitive Maintenance an und etablieren damit neue Geschäftsmodelle und sich selbst zunehmend auch als Service Provider.
In einem agilen Datenökosystem ist nahtlose Customer Experience gefragt
Der Knackpunkt bei der multipolaren Kommunikation kreuz und quer durch die vernetzte Welt: Nicht nur die TeilnehmerInnen, sondern auch die Informationsflüsse müssen vernetzt sein, um sie wirklich in Mehrwert verwandeln zu können.
„Eine gute Customer Experience muss heute vor allem nahtlos sein“, ist Immitzer überzeugt. „Wenn die Informationen, die ein Kunde oder eine Kundin per App weitergibt oder im Autohaus bespricht, nicht entsprechend in allen Anwendungen verarbeitet werden, sorgt das für inkonsistente Daten und Irritation bei den KundInnen, die so weit gehen kann, dass sie für ein Unternehmen verloren gehen.“ Die enormen Datenmengen, die im Vertriebsprozess und im Kundenservice, aber auch bei Finanzdienstleistungen rund um das Auto und nicht zuletzt vom Auto selbst generiert werden, transparent zu machen, zu verteilen und zu nutzen, wird da zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Diese Daten eröffnen ganz neue Möglichkeiten, quasi freie Fahrt Richtung Zukunft.
Um dafür die beste Route zu finden, braucht es für Manfred Immitzer vor allem eine Voraussetzung: neben der Unternehmens-, der Digital und der IT-Strategie auch eine dedizierte Datenstrategie, die neben der Nutzung der Daten auch die Sicherstellung der Datenschutzgesetze garantiert. Die hat man bei der Porsche Holding schon früh zu etablieren begonnen – vor mehr als fünf Jahren, als für die meisten „Data Driven“ einfach ein weiteres Adjektiv für die Digitalisierung war. Heute wo es immer klarer wird, dass es weit mehr ist als das, hat die Porsche Holding schon ein gutes Streckenstück datengetrieben hinter sich gebracht – und kann darauf jetzt weiter aufbauen: „Die Datenstrategie des Unternehmens bildet unseren Leitfaden für künftige Entscheidungen und Entwicklungen innerhalb der Porsche Informatik – ein Handbuch sozusagen.“
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„Eine gute Customer Experience muss heute vor allem nahtlos sein. Wenn die Informationen, die ein Kunde oder eine Kundin per App weitergibt oder im Autohaus bespricht, nicht entsprechend in allen Anwendungen verarbeitet werden, sorgt das für Irritation bei den KundInnen.“
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Bequeme Abschneider gibt es auf einer datengetriebenen Reise allerdings keine. Im Gegenteil – dafür braucht es zunächst eine stabile Basis. Für den CEO & CDO von Porsche Informatik steht fest: „Unsere Basis ist konsequentes Master Data Management mit einer Unique Customer ID als zentralem Element. Die Unique Customer ID ist im wachsenden Datenstrom aus unterschiedlichsten Datenquellen unser fester Anker für unsere Kundendaten und sichert somit unsere Single Source of Truth, sowohl für neue Geschäftsmöglichkeiten als auch für die Einhaltung der DSGVO.“
Mit dieser ID wird also der jeweilige Golden Record, wie zum Beispiel Name, Kontaktdaten und Ähnliches, gespeichert. Dieser Datensatz wird aber nicht in einem CRM- oder ERP-System ‚vergraben‘, sondern verbleibt autonom als systemunabhängiges und eigenständiges Element der Datenarchitektur des Unternehmens.
An diesem Anker hängen nicht nur die Stamm-, sondern auch die Bewegungsdaten von Aktionen wie Suchen, Kaufen, Bestellen. So entsteht ein umfangreicheres Profil, das es erlaubt, den KundInnen explizit zusätzliche Services, Informationen und Nutzen zu bieten – aber natürlich nur jenen KundInnen, die gemäß der DSGVO ihre Zustimmung zur Speicherung, Verwendung und Verknüpfung ihrer Daten geben. Aber auch, wenn die Daten nur anonymisiert genutzt werden können, lassen sich daraus wertvolle Muster erkennen oder Entscheidungshilfen ableiten. „Je mehr Daten, umso besser lassen sich daraus Vorhersagen ableiten“, konstatiert Manfred Immitzer. „Wenn man so wie wir weltweit Millionen Kunden bedient, sind auch anonymisierte Daten sehr aussagekräftig.“
Wer jetzt in der schönen Aussicht auf all die Nutzungsmöglichkeiten schwelgt, wird von ihm allerdings recht nüchtern auf den Boden zurückgeholt – beziehungsweise auf die Fahrbahn, und die ist nicht immer glatt und eben: „Viele Daten zu generieren und zu sammeln ist noch keine große Kunst. Die Kunst ist, einen Mehrwert daraus abzuleiten. Dazu muss man auch ältere Systeme anbinden und eine konsistente Datenstruktur sowie entsprechende Datenqualität auch dort sicherstellen, das ist oft nicht in ein zwei oder drei Monaten getan.“
Wenn man zum Beispiel, so wie bei Porsche Informatik, ein Dealer-Managementsystem im Einsatz hat, dann werden dort über den Golden Record hinaus noch zusätzliche Daten benötigt, die nur für After-Sales-Prozesse relevant sind. Die Stammdaten sind deshalb auch dort gehostet, weil ein transaktionsbasiertes System ansonsten ein Performance-Problem hätte. Die Daten liegen so zwar systemisch nicht an einer einzigen Stelle, im Sinne der Single-Source-of-Truth aber schon. Wenn ein Kunde oder eine Kundin über das Internetportal oder das Kundenkonto etwas verändert, dann wird es an dieser Stelle nachgezogen und über das zentrale Master Data Management in allen Systemen synchronisiert.
Ständige Veränderung braucht rasch adaptionsfähige Daten- und Architekturkonzepte
Die Datenarchitektur und der Anker bleiben immer die gleichen, auch wenn sich die Systemlandschaft verändert – und das wird sie künftig immer öfter und schneller, steht für Immitzer fest: „Genau das ist aber einer der Vorteile der Digitalisierung: die Möglichkeit der ständigen Veränderung und Anpassung von Prozessen bis hin zu ganzen Geschäftsmodellen. Das heißt, dass die gesamte IT-Architektur modular und damit agil adaptionsfähig sein muss. Das frühere Paradigma, für jedes neue Geschäftsmodell mit entsprechendem Zeit- und Budgetaufwand ein neues System zu bauen, funktioniert so einfach nicht mehr.“
Dass autonome, agile Konzepte und zentrale Strukturelemente einander nicht zwangsläufig ausschließen, demonstriert Porsche Informatik allerdings auch. So folgt man beim Verarbeiten und Verknüpfen der Daten dem Ansatz für AI- und Machine-Learning-Mechanismen. Und hat dazu einen Data Lake aufgebaut, in dem Use-Case-bezogen Daten in unterschiedlichsten Formaten eingespielt werden.
Damit hat man sich die nötigen architektonischen Fähigkeiten für Big Data Analytics geschaffen und die Möglichkeit, die Unmengen an vielfältigen Daten mittels Algorithmen zu Anwendungen zu kombinieren und dorthin zurückzuspielen, wo damit Mehrwert erzielt werden kann. Dabei nutzt man hauptsächlich Open-Source-Technologien – und zwar von Business und IT in Co-Creation. „Das Erzeugen von Algorithmen im Datenumfeld ist ein kreativer Prozess“, betont Manfred Immitzer. „Was oft zu wenig erkannt wird: Dafür müssen das Business und die IT sich nicht nur abstimmen, sondern wirklich gemeinsam Use Cases entwickeln.“
Algorithmen-Entwicklung als kreative Co-Creation von Business und IT
Die Ergebnisse aus dem Data Lake sind typischerweise nicht für End-User gedacht, sondern agieren als Input für die eigentlichen End-User-Applikation – wie beispielsweise bei CRM-System durch zusätzliche Möglichkeiten zur Personalisierung mit Hilfe von Aftersales-Daten. Oder das Logistiksystem durch optimierte Prognosen. Die Porsche Holding versorgt ganz Europa aus zwei Logistikzentren. Die Lager umfassen eine enorme Vielfalt an Ersatzteilen, die bei Bedarf innerhalb klar definierter Zeiten an jedem Standort in Europa sein müssen. „Wenn wir hier mit dem Einsatz eines neuen Algorithmus eine Verbesserung von nur wenigen Prozenten erreichen, ist das bereits ein maßgeblicher wirtschaftlicher Impact“, macht Immitzer deutlich.
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„Wenn eine Organisation, die bisher prozessual getickt hat, sich darauf umstellt, sozusagen in Daten zu denken, dann bedeutet das, dass man als Business aus der eigenen Komfortzone herauskommen muss. Und das fordert nicht nur die einzelnen MitarbeiterInnen, sondern auch das Unternehmen als Ganzes.“
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Und spätestens dann, wenn es bei Algorithmen für konkrete Use Cases eine echte Co-Creation von Business und IT braucht, ist auch klar, dass Daten keine Sache der IT, sondern des Business sind, das damit seine Geschäftsfähigkeiten ausbauen kann.
„Die Verantwortlichkeiten haben sich hier klar herauskristallisiert. Bestes Beispiel dafür ist, dass Data Governance und Data Ownership ganz klar in der Verantwortung des Business liegen“, stellt der CEO & CDO von Porsche Informatik fest. „Das ist eine wesentliche Voraussetzung für das neue Mindset, das es in diesem Kontext braucht. Um das zu entwickeln und zu etablieren, bedarf es eines radikalen Umdenkprozesses. Wenn eine Organisation, die bisher prozessual getickt hat, sich darauf umstellt, sozusagen in Daten zu denken, dann bedeutet das, dass man als Business aus der eigenen Komfortzone herauskommen muss. Und das fordert nicht nur die MitarbeiterInnen, sondern auch das Unternehmen als Ganzes.
Als wir als Gesamtunternehmen vor mehr als fünf Jahren mit dieser Datenstrategie begonnen haben, wurden die Herausforderungen in erster Linie auf der IT-Seite gesehen – und das war auch die einhellige Meinung der Analysten. Mittlerweile ist das anders, heute ist Datenmanagement vor allem eine Herausforderung für das Change Management im Business.“
Text: Julia Weinzettl; Fotos: Doris Wild